Wendlingen. Ein ausverkauftes Zelt, ein begeisterungsfähiges und von Anfang an voll mitgehendes Publikum und "Hotel California" von den
"Eagles" als musikalischer Auftakt - der Einstieg ins Thema "Pop & Poesie in Concert" hätte nicht vielversprechender sein können. Allein schon wegen der kurzen Anfahrt vom Auftritt in Wendlingen überzeugt, freute sich SWR1-Moderator Matthias Holtmann auch über die fantastische Atmosphäre im nostalgisch-schönen Zirkuszelt. Spätestens jetzt konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen - und das war ja erst der Beginn. Matthias Holtmann fungiert nicht nur als Gastgeber, Gelegenheits-Percussionist und "virtuoser Operettensänger", sondern zeichnet für Konzeption, Dramaturgie und Buch eines Projekts verantwortlich, das schon in der zweiten Staffel so großartige Erfolge feiern kann, dass die rhetorische Frage, ob das SWR1-Team auch mit dem dritten Teil wieder auf den neuen Wendlinger Zeltplatz kommen soll, im begeisterten Jubel völlig unterging. Radio live auf die Bühne zu bringen, lautet die einfache Grundidee. Zum aufklärerischen Feld-Versuch wird sie dadurch ausgeweitet, dass den musikalisch einfallsreich präsentierten Arrangements stimmig übersetzte Texte vorangestellt und teilweise so überzeugend in schauspielerisch vermittelte Bilder gepackt werden, dass man plötzlich genau weiß, worum es in einem Song geht, den man schon tausend Mal gehört hat. Die Suche nach poetischen Kleinoden, spannenden Geschichten und witziger Gebrauchslyrik muss aber nicht immer zwingend zum Erfolg führen. Bei genauem Hinhören können vermeintliche "Perlen der Popmusik" durch die bislang geflissentlich überhörte Banalität des Textes auch plötzlich deutlich an Glanz verlieren. Was beispielsweise ausgerechnet Joe Cocker mit Jennifer Warnes gemeinsam in "Up where we belong" an "Tiefgang und textlicher Qualität" transportiert, kann in der Tat erschrecken und wurde daher auch in grausamer Häme öffentlich plattgewalzt. Don McLeans "American Pie" ging dank der einfühlsamen Übersetzung deutlich mehr unter die Haut, da jetzt plötzlich völlig klar war, dass mit dem "Tag, an dem die Musik starb", der 3. Februar 1959 gemeint ist und damit das Datum eines tragischen Flugzeugabsturzes, bei dem der legendäre Buddy Holly ums Leben kam. Interessant war auch, wie die kongenial auf der Bühne zusammenwirkenden Schauspieler, Sprecher und Musiker gängige Leseweisen völlig verdrehten. Als "Every breath you take" auf den Markt kam, war "Stalking" noch nicht in aller Munde. Dass das Liebeslied von "Sting" völlig auf den Kopf gestellt werden kann, zeigte ein in Kinski-Manier lachender grün angeleuchteter Übersetzungs-Dämon, der glauben machen konnte, dass es in dem Song der Gruppe "Police" vielleicht doch um die Bekenntnisse eines "Stalkers" geht, der eine anonyme Angebetete gnadenlos terrorisiert und "immer schon da" ist. Was für vielseitige Begabungen Matthias Holtmann um sich herum auf der Bühne versammeln konnte, war in der Tat eindrucksvoll. Sein SWR-Kollege Jochen Stöckle zeigte, dass er nicht "nur" als Redakteur und Moderator, sondern auch als Autor, Regisseur und Schauspieler überzeugen kann. Unterstützt wurde er dabei von Simone von Racknitz, die auf dem Theaterschiff Heilbronn als Schauspielerin und Sängerin tätig ist und auch schon "Tatort"-Erfahrung hat. Zu der von Musikredakteur und Produzent Peter Grabinger geleiteten Band gehört neben Alexander Kraus – Sänger, Geiger, Bassist, Gitarrist, "Junge mit der Mundharmonika" und studierter Jazz- und Popmusiker – auch die aus Mexiko stammende Britta Medeiros, die zu den festen Größen der Europäischen Jazz-Szene gehört und Alex Grabinger, der in der Wendlingen Aufführung seine Premiere als neuer Drummer feiern konnte. Bei der Suche im SWR-Sendegebiet waren die Talent-Scouts ausgerechnet auf der Schwäbischen Alb auch noch auf das erstaunliche unplugged Trio "Acoustic Groove" gestoßen. Mit dem allergrößte Fingerfertigkeit einfordernden Song "Sultans of Swing" der "Dire Straits" konnten Andreas Franzmann, Patrick Schwefel und Winfried Magg das Zeltpublikum in wahre Ekstase versetzen. Der demografischen Entwicklung Rechnung tragend, flippten dabei nicht Kinder und Jugendliche, sondern vor allem die gemäßigteren Semester junggebliebener seriöser Eltern aus, die die musikalische Zeitreise in vollen Zügen genossen. |