Großstadtvarieté unter der Zirkuskuppel

 

Gelungene Premiere für die erste Varietévorstellung beim Jubiläums-Zeltspektakel Publikum zu Beifallsstürmen hingerissen

WENDLINGEN. Etwas Neues sollte es zum Jubiläum sein so der Anspruch des Zeltspektakelvereins zum 25. mit einem Genre aufzuwarten, das es vorher noch nie beim Festival gegeben hat: eine Varieté-Revue à la Friedrichsbau in Stuttgart oder Wintergarten Varieté in Berlin. Zu hoch gegriffen ist dieser Vergleich keineswegs. Denn die hochkarätigen Künstler, die am Donnerstagabend den Auftakt zur Jubiläumsveranstaltung machten, gehören in der Welt des Varietés zu den Spitzenkönnern. Dies hat auch das begeisterte Publikum so gesehen und hat sich in der zweistündigen Revue zu Beifallsstürmen hinreißen lassen.


GABY KIEDAISCH

25 Jahre Zeltspektakel, das spricht für sich, begrüßte Hans Jörg Fritz die Zuschauer im gut gefüllten Zirkuszelt. So viel Selbstbewusstsein haben die Zeltspektakler in den letzten 25 Jahren nicht immer bewiesen. Allen Grund hätten sie jedoch schon lange gehabt: denn ein solches Festival in dieser Größe zu bewältigen, mit einem Programm, das durch seine Vielfalt besticht, Künstler aus aller Welt präsentiert, das erfordert für einen Verein dieser Größenordnung nicht nur an den vier Veranstaltungstagen, sondern schon lange vorher nach dem Motto Nach dem Zeltspektakel ist vor dem Zeltspektakel, neben einem gewaltigen logistischen Kraftaufwand auch jede Menge Disziplin wie eine zupackende Helferschar. Denn an der Organisation und Ausführung hängen schließlich nicht nur Anfragen bei Künstleragenturen, sondern Werbung, Verkauf und eine riesen Bewirtung mit allem drum und dran. Das muss erstmal bewältigt werden.

Längst ist das Zeltspektakel seinen Kinderschuhen entwachsen und kann sich mit Veranstaltern messen, die nichts anderes tun als solche Events auf die Beine zu stellen. Gut, dass die Spektakler deshalb das Selbstbewusstsein und den Mut aufgebracht haben Neues auszuprobieren: Der Varieté-Abend am Donnerstag war ein Anfang und nicht nur das, er war ein Augenschmaus par exzellence, staunen und verblüffende Gesichter inbegriffen. Das Publikum altersgemäß durchwachsen wie selten zuvor bei einer Veranstaltung von Kindern, die ihre Eltern begleiteten, über Teenager, Mittelalter bis zu Senioren. Und alle schienen gleichermaßen ergriffen und fasziniert von dem Dargebotenen.

Desimo sollte also Wort halten, als er Großstadtvarieté-Luft in Wendlingen versprach. Desimo (Abkürzung von Detlef Si- mon) war sozusagen der verbale rote Faden zwischen den einzelnen Nummern, was man landläufig auch Conferencier nennt. Witzig, fast schon hinterhältig galant kam er nicht nur mit seinen Sprüchen und Wortspielen bei Elfriede an, sondern zeigte auch magische Fähigkeiten, womit ihm das Publikum rasch zu Füßen lag für Verblüffung sorgte er als Zauberer mit Kartenspielertricks wie mit endlosen Seiltricks.

Ein Multitalent ist Andrea Engler. Die Varieté-Künstlerin wirbelt Hula-Hoop- Reifen durch die Luft und in einer anderen Nummer zeigt sie atemberaubende Luftakrobatik. Die Reifen tauschte sie gegen zwei lange Vorhangtücher ein. Daran verknotet beeindruckte sie in schwindelnd erregender Höhe durch eine halsbrecherische Choreografie, die eines Hochleistungssportlers würdig ist, durch Dramatik nicht zu überbieten und trotzdem graziös und anmutig ist. Kurz: Virtuoses Ballett unter der Zirkuskuppel.

Die Stimmung im Zelt hätte nicht besser sein können. Die Zuschauer sparten mit Zwischenapplaus nicht. Die angekündigte Show, die vorher noch nirgends zu sehen war, hielt noch weitere Akrobatik-Highlights parat.

Mit Tempo-Jonglage mit dem Diabolo hatte er schon das Publikum beim Le plus gran Cabaret du Monde in Frankreich zum Staunen gebracht. Mit seinen illuminierten High-Speed-Diabolos beeindruckte er nicht minder die Wendlinger Zuschauer. Axel S: frech und hip, brachte er mit einer modernen Show eine alte Akrobatik zu neuen Würden.

Ganz anders Sebastian Krämer: Herb-sarkastisch, musikalisch-literarisch waren seine Auftritte. Der Kabarettist begleitete sich selbst am Klavier und frotzelte über Raucher und Hip-Hop. Inhaltlicher Tiefgang wechselte sich mit poetischem Nonsense ab. Herrlich ihm zuzuhören, wie bei seinem schier endlosen Lindwurm-Song.

BMXFrank zeigte schließlich, was man mit einem Rad alles so anstellen kann. Nachahmer sollten allerdings davon Abstand nehmen, das könnte nämlich gehörig auf den Allerwertesten gehen. Der Berliner Hip-Hopper stellte das Radfahren völlig auf den Kopf und bot eine Bühnenperformance mit spektakulären Sprüngen und akrobatischen Einlagen.

Fazit: Ein großartiges Erlebnis, das nach Mehr verlangt. Die Zugabeforderungen des Publikums zeigten, dass ein solch kurzweiliger, faszinierender Abend gerne eine Neuauflage verträgt.

Plätze gibt es noch für den Kindernachmittag heute 14 Uhr mit den fantastischen Fünf. Das Konzert Trachtenrock mit über 70 Musiker des Musikvereins Wendlingen und der Musikschule am Sonntag um 14 Uhr sollte sich ebenfalls niemand entgehen lassen (freier Eintritt).