Klassiker der Rockgeschichte verzückten

 

Die Leningrader Klauboys und die Sieger des Nachwuchswettbewerbs, die Dui Pfeifel und The Crumbs, beim Zeltspektakel

WENDLINGEN. The Machine is working!: Einen knappen halben Meter ragt die Pattex-gestärkte Haartolle des Ansagers nach vorn über die Stirn hinaus, um sich dort lotrecht mit seinen Stiefelspitzen zu treffen. Mit einer Hals- und Beinbruch fördernden und darüber hinaus im wahrsten Sinn des Wortes brandheißen Show begeisterten die Leningrader Klauboys am zweiten Abend des 25. Wendlinger Zeltspektakels. Unterstützt wurde die 15(!)-köpfige Musik- und Klamauktruppe von den aus einem Nachwuchswettbewerb in das Vorprogramm katapultierten Newcomern Dui Pfeifel und The Crumbs.


HEINZ BöHLER

Aussehen wie Mamas Lieblinge und einen irren Ska-Punk-Crossover auf der Pfanne, so präsentierten sich die in einem vom Köngener Jugendhaus Trafo als Sieger gekürten Jungs von Dui Pfeifel. Rein optisch war nicht auszumachen, ab alle neune (so viele Musiker trieben da auf der Bühne ihren Schabernack mit Instrumenten und Publikum) schon alt genug sind, um sich noch nach Einbruch der Dunkelheit in sonst verschwiegenen Industriegebieten rumtreiben zu dürfen. Doch wirkte dafür die schon ziemlich zahlreiche Zuhörerschaft ganz schön erziehungsberechtigt (Omas schönstes Geschenk: Die Karte fürs Zeltspektakel). Umso besser kam der fröhliche Budenzauber mit fettem Bläsersound und dem Drive von zwei Drummern beim Publikum an, mit dem auch zumindest direkt vor der Bühne immer ein unmittelbarer Kontakt gepflegt wurde.

Eine echte Überraschung bot danach die Siegergruppe des Nachwuchswettbewerbes im Wendlinger Jugendhaus Neuffenstraße. Wer die Crumbs und ihre noch vor einem halben Jahr relativ hilflos und schüchtern wirkenden Bühnentobsuchtsanfälle erlebt hat, staunte Bauklötze, in welch kurzer Zeit das stark an Bands wie Nirvana orientierte Quartett an musikalischer Qualität und Intensität ihrer Bühnenpräsenz gewonnen hat. Da wirkte nichts gekünstelt oder kontrolliert, die Show passte trotzdem wie angegossen in den Rahmen ihrer Songs.

Ein deutlich stotterndes Motorengeräusch aus dem Off entführte die Gäste des Zeltspektakels mental in die unendliche Ackerfurche einer russischen Kolchose. Mit gutturalem Akzent stellt jemand fest: The Machine is not Working. Dass es auch anders geht, beweisen zwölf Herren und drei Damen, die gleich darauf das alte Zirkuszelt in ein Tollhaus verwandeln.

Das Outfit und die Musik haben sich die Boys von den Leningrad Cowboys geklaut und das Ganze sollte, erzählt Puki vom Veranstaltergremium, eigentlich nur ein Scherz sein. Aus dem Scherz wurde eine zehnjährige Bandkarriere, die bei einem Talentkontest im Köngener Musik-Café Eisele ihren Anfang genommen hatte.

Mit den oft etwas holzig (um dem Vorbild möglichst nahe zu bleiben) und meistens irrwitzig schnell gespielten Cover-Versionen ehrwürdiger Klassiker der Rockgeschichte wirbelten die grotesk gekleideten Gestalten das Zelt durcheinander und brachten ihre Fans dazu, ihren drei Hupfdohlen Miss Taiga, Miss Russia und Miss Ural verzückt zuzujubeln.

These Boots are made for walking sprachen der Fußbekleidung der Akteure Hohn und White Punks bekamen ihr Dope gleich mit der Infusionsapparatur verabreicht. Zornig fuchtelte dazu der älteste Punkrocker der Welt mit dem Spazierstock und direkt aus Woodstock verirrte sich ein Sonnenblumen schwenkender Hippie auf die Bühne, während die Band unter lautem Getöse etwas von Hush (oder hasch) ins Mikrofon hauchte.

In der Zwischenzeit hatte sich die Luft im Zelt zu einem schneidbaren Block verwandelt, sodass sich die für den ersten Höhepunkt der fast ausverkauften Zeltspektakel-Jubiläumsshow engagierten Feuerschlucker beeilen mussten, noch ein wenig Restsauerstoff für ihre Zwecke ergattern zu können. Das taten sie dann in einem spektakulären Ausmaß, als sie mit Feuerrädern, Tischfeuerwerk und tollen Jonglagen die Musik von Arthur Browns Megahit (I am the God of Hell-)Fire zum Background-Füller degradierten.

Die russische Seele schwebte anschließend unsicht-, aber desto lauter hörbar zu den Klängen des Liedes der Wolgaschlepper und Khatchaturians Säbeltanz durch die Tiefen des Raumes und mit der freudigen Zurkenntnisnahme der Tatsache, dass der Motor nun endlich angesprungen sei (The Machine is working) ging es im Walzertakt zur Zugabe weiter, in der Delilah ihr ruchloses Leben aushauchte.

Im Köngener Café Eisele nahmen die Leningrader Klauboys ihren Anfang. Am Freitag hatten sie beim Wendlinger Zeltspektakel ein Heimspiel. heb